Abgaben für Privatkopien und sonstige Reproduktionsformen: Empfehlungen an die EU-Kommission

EU-Kommission, Pressemitteilung vom 31.01.2013

Der ehemalige EU-Kommissar für Justiz und Inneres, António Vitorino, hat am 31.01.2013 zum Abschluss des Vermittlungsverfahrens seine Empfehlungen zu Abgaben für Privatkopien und sonstige Reproduktionsformen vorgelegt. António Vitorino war von Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier mit dem Vorsitz einer Vermittlung zwischen den Interessengruppen beauftragt worden. Sein Abschlussbericht enthält zwei Empfehlungen: Zu einen soll vermehrt auf Lizenzen und vertragliche Regelungen zurückgegriffen werden, da sie nach wie vor der beste Weg seien, Rechteinhaber für ihre kreative Leistung und ihre Investitionen angemessen zu entlohnen. Außerdem sollen die unterschiedlichen einzelstaatlichen Abgabensysteme mit dem Binnenmarkt in Einklang gebracht werden.

"Meine Empfehlungen" – so António Vitorino – "beruhen auf einer sorgfältigen Analyse der von den Interessengruppen vorgebrachten Argumenten und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Sie sollen die künftigen Beratungen und die Beschlussfassung erleichtern und so weit wie möglich voranbringen. Letzten Endes sollten wir zwei Ziele anstreben: Erstens sollten wir maßgeschneiderte vertragliche Regelungen fördern, die eine direkte Vergütung der Urheber vorsehen, und zweitens müssen wir die bestehenden, unterschiedlichen nationalen Abgabensysteme und die Grundsätze des Binnenmarkts miteinander in Einklang bringen. Abgabensysteme sollten transparent, verständlicher und für die Verbraucher nachvollziehbar sein".

Binnenmarktkommissar Michel Barnier bedankte sich bei António Vitorino für die Übernahme dieser schwierigen Aufgabe und die rasche und konstruktive Arbeit: "Seine Empfehlungen bilden eine wichtige Grundlage für Fortschritte in diesen schwierigen Bereichen und werden in die weiteren Arbeiten zu den Inhalten im digitalen Binnenmarkt einfließen, die im vergangenen Dezember angestoßen wurden. Wir wollen einen funktionierenden digitalen Binnenmarkt schaffen und neue Geschäftsmodelle erleichtern, die den sich wandelnden Erwartungen und Präferenzen der Verbraucher gerecht werden. Es gilt, Urheberrecht und Lizenzvergabe an das 21. Jahrhundert anzupassen. Ich werde dafür sorgen, dass die Empfehlungen von António Vitorino bei allen weiteren Arbeiten im Bereich der Gebühren für Privatkopien und insbesondere bei der Überprüfung unserer EU-Rahmenregeln für das Urheberrecht berücksichtigt werden."

Im ersten Teil der Empfehlungen von António Vitorino geht es um neue Geschäftsmodelle und die Notwendigkeit einer Klarstellung, dass von Endnutzern für private Zwecke angefertigte Kopien im Zusammenhang mit einer Dienstleistung, für die eine Lizenz erteilt wurde, keine Schädigung darstellen, die eine zusätzliche Vergütung in Form von Abgaben erforderlich machen würden.

Der zweite Teil der Empfehlungen befasst sich mit der Verbesserung der Abgabensysteme und ihrer Anpassung an die Grundsätze des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt. Im Einzelnen wird Folgendes empfohlen:

  • Bei grenzüberschreitenden Transaktionen sollten die Abgaben in dem Mitgliedstaat erhoben werden, in dem der Endverbraucher seinen Wohnsitz hat.
  • Die Abgabenpflicht sollte von den Herstellern und Importeuren auf den Einzelhandel verlagert werden. Voraussetzung sind allerdings eine Vereinfachung der Gebührensysteme und eine Verpflichtung der Hersteller und Importeure, die Verwertungsgesellschaften über ihre Geschäfte mit den abgabenpflichtigen Gütern zu unterrichten. Als Alternative wären klare, berechenbare Regeln für Vorab-Freistellungen für Betreiber, die grundsätzlich von der Abgabenpflicht befreit werden sollten, denkbar.
  • Die Abgaben für Reproduktionen sollten konsequenter an den Betreibern und nicht an Ausrüstungsgütern ausgerichtet werden.
  • Die Abgaben sollten für den Verbraucher sichtbarer werden.
  • Die Abgabensysteme sollten mehr Übereinstimmung aufweisen. Dazu sollte der Begriff der "Schädigung" (d.h. des Schadens, der Rechteinhabern durch private, von der Legalausnahme gedeckte Vervielfältigungen entsteht) EU-weit einheitlich definiert werden. Die Verfahren der Abgabenerhebung sollten zudem vereinfacht, ihre Objektivität gewährleistet und strenge Fristen vorgesehen werden.

Hintergrund

Rechteinhaber haben das ausschließliche Recht, die Vervielfältigung ihrer Werke (z. B. Bücher, Musik und Filme) und sonstiges geschütztes Material (wie z. B. Tonträger, Rundfunksendungen) zu genehmigen oder zu verbieten. Die Mitgliedstaaten können gemäß der Richtlinie 29/2001/EG Ausnahmen vorsehen. Zu diesen Ausnahmen zählt das Recht auf Vervielfältigung und Reproduktion zu privaten Zwecken. Die Rechteinhaber haben Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für die Vervielfältigung ihrer Arbeiten oder anderer geschützter Gegenstände aufgrund dieser Ausnahmebestimmungen. Oft erheben die Mitgliedstaaten aus diesem Grund Abgaben auf jene Güter, die üblicherweise für die Anfertigung oder Speicherung solcher Vervielfältigungen verwendet werden (leere DVDs, Aufnahmegeräte, MP3-Spieler, Kopiergeräte usw.). 2010 wurden als Entschädigung für Privatkopien in der EU Abgaben in Höhe von mehr als 600 Mio. Euro erhoben.

Die Abgabensysteme der Mitgliedstaaten unterscheiden sich teilweise jedoch erheblich, u. a. in Bezug auf die Produkte, auf die eine Abgabe erhoben wird, und die Höhe der Tarife. Diese Unterschiede beeinträchtigen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. So betrug die Abgabe für eine leere DVD 2010 beispielsweise in Frankreich 1,00 Euro, in Dänemark 0,48 Euro, in Deutschland 0,0139 Euro, in Polen 2,5 % des Verkaufspreises und in Litauen 6 % des Einfuhrpreises. Die Abgabe für einen MP3-Player betrug in Frankreich (abhängig von der Speicherkapazität) zwischen 1,00 Euro und 20,00 Euro, in Deutschland 5,00 Euro, in Polen 3 % des Verkaufspreises und in Litauen (abhängig von der Speicherkapazität) zwischen 0,43 Euro und 11,58 Euro; in Dänemark wurden keine Abgaben erhoben. Für Mobiltelefone mit einem Speicher von 32 GB betrug die Abgabe in Deutschland 36,00 Euro (für Geräte mit Tastbildschirm), in Ungarn 18,00 Euro, in Frankreich 10,00 Euro, in Litauen 4,34 Euro, in Italien 0,90 Euro und in Rumänien 0,5 % des Verkaufspreises.

In ihrer Mitteilung vom 24. Mai 2011 über einen Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums stellte die Kommission fest, dass im Bereich der Abgaben für Privatkopien und Reproduktionen weitere Arbeiten erforderlich sind. Im November 2011 beauftragte Binnenmarktkommissar Michel Barnier das frühere Kommissionsmitglied António Vitorino (Justiz und Inneres) mit einer Vermittlung zwischen den verschiedenen Interessengruppen. Im April 2012 leitete António Vitorino das Vermittlungsverfahren ein und forderte die Beteiligten auf, schriftlich Stellung zu nehmen. An dem anschließenden Dialog nahmen alle wichtigen Interessengruppen – Verbraucher, Rechteinhaber, Verwertungsgesellschaften, IKT-Branche und KMU – teil. Im Herbst 2012 wurde das Vermittlungsverfahren abgeschlossen.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der EU-Kommission.

Quelle: EU-Kommission