Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 23.10.2023
Schlechte Arbeitsbedingungen stellen ein erhebliches Risiko für Körper und Psyche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dar. Einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit in der Bevölkerung können daher Unternehmen leisten, indem sie für gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen sorgen. Inwieweit sie dieser Verantwortung gerecht werden, haben Dr. Elke Ahlers und Valeria Quispe Villalobos vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung anhand von Daten der WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2021 untersucht, an der sich mehr als 3.700 Beschäftigtenvertretungen beteiligt haben. Der Studie zufolge haben sich Management und Interessenvertretungen in vielen mitbestimmten Betrieben zuletzt intensiv mit Gesundheitsthemen befasst – auch aufgrund der Corona-Pandemie. Fast drei Viertel der Betriebe boten 2021 betriebliche Gesundheitsförderung an – 2015 waren es erst gut rund die Hälfte. Instrumente des betrieblichen Gesundheitsmanagements wie beispielsweise Gefährdungsbeurteilungen werden ebenfalls zunehmend genutzt, allerdings gibt es insbesondere bei der Erfassung psychischer Belastungen noch Lücken. Bei der konkreten Umsetzung von Verbesserungen und den Beteiligungsmöglichkeiten von Beschäftigten hapert es zudem nach Analyse der Forscherinnen oft noch. Und in Betrieben ohne Betriebsrat ist das Engagement für den Gesundheitsschutz erfahrungsgemäß geringer.
Arbeitsschutz sei ein „klassisches Thema der betrieblichen Interessenvertretung“, das durch die Coronakrise ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt sei, schreiben Ahlers und Quispe Villalobos. Während bei Betriebs- und Personalräten vorher vor allem Überstunden, Arbeitsintensivierung, Zeit- und Leistungsdruck die Agenda beherrschten, hatten 2021 die drei meistgenannten Arbeitsfelder auch mit der Pandemie zu tun: Mit Corona und den Folgen für den Betriebsablauf befassten sich 89 Prozent der Befragten, mit Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung 86,1 Prozent, mit mobiler Arbeit und Homeoffice 80,5 Prozent.
Vielen Arbeitgebern scheint Gesundheitsschutz ebenfalls ein Anliegen zu sein: 73,5 Prozent der mitbestimmten Betriebe boten laut der Auswertung 2021 betriebliche Gesundheitsförderung an. Sie gilt als freiwilliger Baustein für eine langfristige Gesundheitsprävention und umfasst beispielsweise betriebliche Angebote wie Kurse zu Stressbewältigung, Bewegung oder Ernährung. Der Anteil steigt mit der Größe der Firmen: Wo bis zu 50 Beschäftigte arbeiten, beträgt er 58,1 Prozent, ab 500 Beschäftigten 87,6 Prozent. Im Vergleich von elf großen Branchen liegen Finanzen und Versicherungen mit 86,9 Prozent und die öffentliche Verwaltung mit 82,3 Prozent vorn, der Bereich Investitionsgüter mit 58,8 Prozent hinten.
„Damit zeigt sich zwar keine flächendeckende, aber trotzdem eine breite Akzeptanz in den Unternehmen“, urteilen die Forscherinnen. Sie sei zudem im Laufe der Zeit deutlich gestiegen: 2015 gab es betriebliche Gesundheitsförderung nur bei 50,4 Prozent der mitbestimmten Firmen. Allerdings ist aus anderen Studien bekannt, dass Betriebe mit Betriebsrat deutlich mehr für die Gesundheit der Beschäftigten tun als Betriebe ohne Mitbestimmung. Die Quote dort könnte also spürbar niedriger liegen als bei den befragten Betrieben.
Betriebliches Eingliederungsmanagement, ein gesetzlich vorgeschriebenes Instrument, das Beschäftigte nach längerer krankheitsbedingter Auszeit bei der Rückkehr in den Job unterstützen soll, bieten 89,7 Prozent der befragten Betriebe an. Auch hier finden sich Unterschiede im Hinblick auf Betriebsgröße und Branche, die aber wegen des obligatorischen Charakters der Vorschriften weniger ins Gewicht fallen.
Gefährdungsbeurteilungen: Positiver Trend, aber insbesondere bei psychischen Belastungen noch erhebliche Lücken
An die allgemeine gesetzliche Pflicht, regelmäßig Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen, halten sich der Befragung zufolge 91,9 Prozent der Betriebe. Auch hier ist über die Jahre ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen: 2015 waren es 77,7 Prozent. „Die klassische Gefährdungsbeurteilung scheint damit – zumindest in den mitbestimmten Betrieben – angekommen zu sein“, so Ahlers und Quispe Villalobos.
Weniger erfreulich falle die Bilanz bei den Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen aus, heißt es in der Studie. Solche Belastungen wurden 2021 bei 63,4 Prozent der Betriebe vollständig berücksichtigt, bei 20,1 Prozent teilweise. Immerhin scheint das Bewusstsein über die Jahre gewachsen zu sein: 2015 berichteten 31,3 Prozent der Befragten, dass entsprechende Gefährdungsbeurteilungen vollständig durchgeführt werden, 11,2 Prozent gaben an, dass es teilweise geschieht.
Verantwortlich für den positiven Trend könnte nach Einschätzung der Expertinnen die stärkere Aufklärung und Unterstützung der Gewerkschaften sein. Zudem dürfte die Corona-Arbeitsschutzverordnung eine Rolle gespielt haben, die explizit eine Gefährdungsbeurteilung zu pandemiebedingt veränderter Arbeitsbelastung – beispielsweise in Form von Ängsten vor Ansteckung oder von Isolation im Homeoffice – vorsah.
Gleichwohl sei die Erfassung psychischer Belastungen nach wie vor keine Selbstverständlichkeit in den Betrieben, so die WSI-Forscherinnen. Hinzu kommt: Nur jeder zweite Betriebs- oder Personalrat gibt an, dass Beschäftigte in diesem Zusammenhang aktiv eingebunden werden. Außerdem scheinen auf die Analyse nicht zwingend Taten zu folgen: In nicht einmal jedem dritten Betrieb sind infolge von Gefährdungsbeurteilungen tatsächlich auch organisatorische Veränderungen umgesetzt worden. 41,5 Prozent der Befragten können zumindest eine teilweise Umsetzung bestätigen.
Dass generell das betriebliche Gesundheitsmanagement im Unternehmen nicht immer reibungslos funktioniert, führen 73,6 Prozent der Befragten auf Zeit- und Personalmangel bei den Akteur*innen des Gesundheitsschutzes zurück, 45,3 Prozent auf den Verwaltungsaufwand. Mangelndes Bewusstsein der Geschäftsführung wurde mit 43,7 Prozent 2021 seltener genannt als vor der Pandemie mit 50,9 Prozent. Auch fehlendes Fachwissen und die Komplexität der gesetzlichen Auflagen wurden weniger häufig für Probleme verantwortlich gemacht als 2018.
Alles in allem halten Ahlers und Quispe Villalobos es für „ein gutes Zeichen“, dass betriebliches Gesundheitsmanagement zunehmend zum Einsatz kommt. Es gebe allerdings auch Schwachstellen: Kleinere Betriebe etwa hinkten deutlich hinterher. Generell sei der Nutzen zudem begrenzt, wenn der Prozess der Gefährdungsbeurteilung „nur halbherzig und bürokratisch abgearbeitet wird“ und nach der Analyse ins Stocken gerät, weil Verantwortliche vor nachhaltigen Änderungen zurückschrecken.
Zudem lasse die aktive Einbindung der Beschäftigten in der betrieblichen Praxis zu wünschen übrig, konstatieren die Forscherinnen. Das sei auch deshalb bedauerlich, weil Unternehmen angesichts von Arbeitskräfteengpässen ein besonderes Interesse an gesunden und zufriedenen Beschäftigten haben sollten.
Angesichts von Entgrenzung und Verdichtung von Arbeit durch neue Techniken und häufig zu geringe Personaldecken gibt es auch Initiativen, über stärkere gesetzliche Mitbestimmungsrechte den Gesundheitsschutz zu stärken. So sieht ein Entwurf für ein zeitgemäßes Betriebsverfassungsgesetz etwa vor, dass die Personalplanung in Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Rechtsexpert*innen aus den DGB-Gewerkschaften, der Hans-Böckler-Stiftung sowie Jura-Professoren von den Universitäten Göttingen und Bremen haben das Reformkonzept im vergangenen Jahr vorgelegt.
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung
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