Schaukästen politischer Parteien auf öffentlichem Straßenland stellen nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin eine straßenrechtliche Sondernutzung dar und sind deshalb gebührenpflichtig.
Die Klägerin ist ein Kreisverband einer politischen Partei. In diesem Kreis befinden sich an 27 Standorten seit mehreren Jahrzehnten Schaukästen im öffentlichen Straßenland. Dabei handelt es sich um Metallkästen mit einer Frontscheibe aus Glas, die mit zwei Standbeinen fest mit dem Boden verbunden sind. Die Schaukästen werden ganzjährig für Informationen der Partei genutzt. Mit Gebührenbescheid vom 4. Januar 2017 forderte das Bezirksamt Reinickendorf von Berlin von der Klägerin für die Aufstellung Sondernutzungsgebühren in Höhe von 4.988,16 Euro für den Zeitraum von einem Jahr, weil es sich hierbei um eine Sondernutzung handele und – anders als bisher gehandhabt – hierfür nach geltender Rechtslage Gebühren erhoben werden müssten. Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin Klage erhoben im Wesentlichen mit der Begründung, eine Sondernutzung politischer Parteien sei nach der Sondernutzungsgebührenverordnung gebührenfrei; im Übrigen müsse nach dem Berliner Straßengesetz (BerlStrG) bei der Gebührenbemessung der wirtschaftliche Vorteil der Sondernutzung berücksichtigt werden, woran es hier fehle.
Die 1. Kammer hat die Klage abgewiesen. Die Gebührenerhebung sei rechtmäßig. Schaukästen auf öffentlichem Straßenland stellten auch dann eine Sondernutzung dar, wenn diese von einer politischen Partei zur Werbung genutzt würden. Ein fest installierter Schaukasten stehe auch nicht einem bloßen (mobilen) Informationsstand gleich. Nach dem BerlStrG seien Werbeanlagen auf der Straße nur in unmittelbarem Zusammenhang mit Wahlen gebührenfrei; dauerhafte Werbeanlagen wie die in Rede stehenden Schaukästen stünden dem nicht gleich. Weder sei die Gebühr zu ermäßigen oder gar zu erlassen. Die Sondernutzung liege trotz der hohen Bedeutung der Mitwirkung von Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes nicht im besonderen öffentlichen Interesse. Die Gebührenerhebung stelle auch keine Härte für die Partei dar, und schließlich sei dieses Verständnis mit dem Parteienprivileg des Art. 21 des Grundgesetzes vereinbar. Obwohl der Beklagte jedenfalls aufgrund der bereits im Jahr 2006 in Kraft getretenen Sondernutzungsgebührenverordnung berechtigt und auch verpflichtet gewesen sei, Gebühren zu erheben, hiervon aber keinen Gebrauch gemacht habe, sei sein entsprechendes Recht nicht verwirkt.
Gegen das Urteil kann der Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gestellt werden.
Lehren aus Dieselgate: Neue EU-Regeln für die Typgenehmigung von Autos gelten ab 01.09.2020
Am 01.09.2020 treten neue Vorschriften in Kraft, nach denen neue Fahrzeugtypen in der EU genehmigt werden müssen. Die neuen Regeln sorgen für Unabhängigkeit und mehr Qualität bei der Prüfung, bevor ein Fahrzeug in den Verkehr gebracht wird. Sie verbessern die Kontrolle von Fahrzeugen, die bereits auf dem Markt sind, und stärken das System durch eine europäische Aufsicht. Die EU- Kommission kann damit EU-weite Rückrufe anordnen und Sanktionen in Höhe von bis zu 30.000 Euro pro Fahrzeug verhängen. Die Kommission hatte die Verordnung im Zuge des Dieselgate-Skandals vorgeschlagen, bei dem Autohersteller durch Manipulationen gesetzlich vorgegebene Grenzwerte für Autoabgase umgangen hatten.
„Die Europäerinnen und Europäer erwarten zu Recht, dass sie die saubersten und sichersten Fahrzeuge fahren können. Dies setzt strengste Kontrollen an Fahrzeugen voraus, die in Verkehr gebracht werden und auf unseren Straßen fahren. Es erfordert auch eine echte Durchsetzung und Überwachung auf europäischer Ebene: Aus diesem Grund wird die Kommission künftig in der Lage sein, Fahrzeuge zu kontrollieren, EU-weite Rückrufe auszulösen und Geldbußen von bis zu 30.000 Euro pro Fahrzeug zu verhängen, wenn gegen das Gesetz verstoßen wird“, sagte Thierry Breton, Kommissar für den Binnenmarkt.
„Diese Reformen ergänzen unsere Bemühungen um sauberere und sicherere Mobilität, die vor dem Hintergrund der Krise noch stärker zukunftsorientierte Investitionen in Infrastruktur und Innovation erfordern. Unsere Bemühungen, das Vertrauen der Verbraucher wiederherzustellen, den Binnenmarkt zu stärken und die langfristige Lebensfähigkeit und globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie zu unterstützen, gehen Hand in Hand“, so der Kommissar weiter.
Die wichtigsten Elemente der neuen EU-Vorschriften sind:
- Unabhängigkeit und Qualität der Prüfungen vor dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs: Technische Dienste, die neue Fahrzeugmodelle prüfen und inspizieren, werden von unabhängigen Stellen auf der Grundlage strenger Kriterien geprüft, um ihre Benennung durch die Mitgliedstaaten zu erhalten und beizubehalten. Nationale Typgenehmigungsbehörden werden nun gegenseitigen Begutachtungen (Peer Reviews) unterzogen, um dafür zu sorgen, dass die geltenden Bestimmungen in der gesamten EU umgesetzt und konsequent durchgesetzt werden.
- Kontrollen bereits auf dem Markt befindlicher Fahrzeuge: Der neue Rechtsrahmen verbessert auch die Kontrollen von Fahrzeugen, die bereits auf dem Markt sind und von Händlern zum Verkauf angeboten werden. Von nun an sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, regelmäßig eine Mindestzahl von Fahrzeugen zu prüfen. Außerdem sind sie nun in der Lage, Schutzmaßnahmen gegen nicht konforme Fahrzeuge in ihrem Hoheitsgebiet zu ergreifen, ohne abwarten zu müssen, dass die Behörde, die die Typgenehmigung erteilt hat, tätig wird.
- Europäische Aufsicht: Darüber hinaus kann die Kommission nun an Fahrzeugen Einhaltungs- und Konformitätsprüfungen in Laboratorien oder auf der Straße durchzuführen. In Fällen, in denen Hersteller gegen die Typgenehmigungsvorschriften verstoßen (z. B. im Fall von Abschalteinrichtungen oder gefälschten Erklärungen), kann die Kommission EU-weite Rückrufe anordnen und Sanktionen in Höhe von bis zu 30.000 Euro pro Fahrzeug verhängen. Bis heute konnten nur die nationalen Behörden, die das Fahrzeug typgenehmigt haben, solche Maßnahmen verhängen.
Hintergrund
Die neuen Regeln sind ein Teil der Arbeit der Europäischen Kommission für einen sauberen, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Automobilsektor, wie sie in der Kommissionsmitteilung „Europa in Bewegung“ festgelegt wurde. Mit ihren Initiativen sorgt die Kommission dafür, dass Luftqualitäts- und CO2-Normen eingehalten und Emissionsprüfungen für Autos verbessert werden. Außerdem fördert die Kommission alternative Kraftstoffe und die Herstellung von Batterien und verteidigt die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie.
Im Prozess der Typgenehmigung bescheinigt die Prüfstelle, dass ein Fahrzeug alle Anforderungen erfüllt. Insbesondere, ob die Hersteller das EU-Recht, einschließlich der Emissionsgrenzwerte, die in separaten Vorschriften festgelegt sind, kontinuierlich einhalten. Die Kommission hat die neuen Regeln im Zuge des Dieselgate-Skandals vorgeschlagen. Sie wurden 2018 vom Europäischen Parlament und dem Rat verabschiedet.
Werbeeindruck einer Herstellung in Deutschland ist nur bei wesentlicher Fertigung in Deutschland zulässig
Die Werbung „deutsches Unternehmen – wir bürgen für die Qualität der von uns hergestellten Module“ erzeugt bei den Verbrauchern den Eindruck, die Module würden in Deutschland hergestellt. Der Verkehr erwartet zwar nicht, dass alle Produktionsvorgänge einer Industrieproduktion am selben Ort stattfinden. Er weiß aber, dass industriell gefertigte Erzeugnisse ihre Qualität ganz überwiegend der Güte und Art ihrer Verarbeitung verdanken. Es kommt damit maßgeblich auf den Ort der Herstellung und nicht der konzeptionellen Planung an. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) untersagte mit am 31.08.2020 veröffentlichten Beschluss im Eilverfahren die angegriffenen Werbeangaben.
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Markt der Herstellung von Solarmodulen. Die Antragstellerin wendet sich gegen Werbeaussagen der Antragsgegnerin. Sie meint, diese enthielten unwahre Angaben über die geografische Herkunft der beworbenen Produkte. Im Einzelnen wendet sie sich u. a. gegen die Aussagen: „Solarmodul-Hersteller …“ in Verbindung mit einer stilisierten Deutschlandflagge, „German Luxor Quality Standard“ und „Deutsches Unternehmen – wir bürgen für die Qualität der von uns hergestellten Module“. Das Landgericht hatte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG Erfolg. Der Antragstellerin stehe ein Unterlassungsanspruch zu, so das OLG. Der Durchschnittsverbraucher verstehe die angegriffenen Angaben als Hinweis, dass die angebotenen Module der Antragsgegnerin in Deutschland produziert würden. Die Angaben seien nicht lediglich als Hinweis auf den Unternehmenssitz der Antragsgegnerin aufzufassen. Im Einzelnen:
Die siegelartige Gestaltung der Angabe „Solarmodule-Hersteller…“ in Verbindung mit einer stilisierten Deutschland-Flagge erzeuge bei den Verbrauchern den Eindruck, die Module würden in Deutschland hergestellt. Der Verbraucher beziehe den Flaggenhinweis auf die Angabe „Hersteller“. Es sei zwar bekannt, dass zahlreiche inländische Industrieunternehmen in Fernost produzierten. Der Verbraucher gehe davon jedoch nicht allgemein aus, sondern achte auf Angaben, die auf den Herstellungsort hinwiesen.
Auch die siegelartige Darstellung auf der Produktbroschüre „German Luxor Quality Standard“ erzeuge im Kontext der Werbung bei den Verbrauchern den Eindruck, die Module würden in Deutschland hergestellt. Gleiches gelte für die Angabe „deutsches Unternehmen – wir Bürgen für die Qualität der von uns hergestellten Module“.
Die so erzeugte Vorstellung entspreche nicht der Wahrheit. Die Antragsgegnerin lasse die Module im inner- und außereuropäischen Ausland fertigen. Da sie mit den genannten Angaben alle ihre Module bewerbe, also auch solche, die im Ausland produziert würden, komme es nicht darauf an, ob die Antragsgegnerin wenigstens einen Teil ihrer Module in Deutschland fertigen lasse. Eine Angabe, mit der Deutschland als Herstellungsort bezeichnet werde, sei nur richtig, wenn diejenigen „Leistungen in Deutschland erbracht worden sind, durch die das zu produzierende Industrieerzeugnis aus Sicht des Verkehrs im Vordergrund stehenden qualitätsrelevanten Bestandteile oder wesentlichen produktspezifischen Eigenschaften erhält,“ erläutert das OLG. Bei einem Industrieprodukt komme es dabei aus Sicht der Verbraucher auf die Verarbeitungsvorgänge an. Der Ort der planerischen und konzeptionellen Leistungen sei weniger prägend.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Als Freiberuflerinnen geführte Telefonsexdienstleisterinnen können Arbeitnehmerinnen sein
Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit zwei Beschlüssen vom 25.08.2020 entschieden, dass als Freiberuflerinnen geführte Telefonsexdienstleisterinnen Arbeitnehmerinnen sind, wenn sie durch eine einseitige Steuerung und Kontrolle der Betriebsabläufe in einer Weise ihrer Selbständigkeit beraubt werden, die über die mögliche Einflussnahme bei einem freien Dienstvertrag hinausgeht.
Die Beklagte setzt in ihren Kölner Geschäftsräumen Telefonistinnen ein, die sexuelle Dienstleistungen im Schichtbetrieb an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden am Tag anbieten. Sie werden von der Beklagten als freiberufliche Mitarbeiterinnen geführt. Den Telefonistinnen wird von einer anderen Gesellschaft für ihre Tätigkeit ein ca. sechs bis acht Quadratmeter großer Raum mit Tisch, Stuhl, Computer und drei Telefonen zur Verfügung gestellt, wofür sie ein monatliches Entgelt i. H. v. 50 Euro zu zahlen haben. Aus einem von der Beklagten vorgehaltenen Pool wählen die Telefonistinnen einen Alias-Namen und Fotos, die auf der Internet-Seite der Beklagten veröffentlicht werden. Die von ihnen gewünschten Einsätze können die Telefonistinnen in Dienstpläne eintragen. Ihre Tätigkeit wird durch eine an der Decke befestigte Videokamera aufgezeichnet. Die Telefonate werden mitgeschnitten. Das dienstliche Verhalten und die Beziehung zu den Kunden werden von der Beklagten in vielfältiger Hinsicht mitgestaltet.
Das von den Klägerinnen u. a. wegen diverser Zahlungsansprüche angerufene Arbeitsgericht hatte die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerinnen verneint und die Rechtsstreite an das Landgericht verwiesen.
Auf die Beschwerden der Klägerinnen hat das Landesarbeitsgericht die Verweisungsbeschlüsse abgeändert und den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen bejaht, da die Klägerinnen als Arbeitnehmerinnen anzusehen seien. Die Beklagte habe sowohl durch die Audio- und Videoüberwachung als auch durch die Einbindung in ihre Arbeitsorganisation eine für selbständige Freiberuflerinnen wichtige Marktpräsenz der Klägerinnen verhindert. Die Klägerinnen hätten keinen von der Beklagten unabhängigen Kundenstamm aufbauen können, da sie nach außen nicht unter eigenem Namen, sondern bildlich und namentlich unter einem Alias-Profil aufgetreten seien. Die auf die vorbeschriebene Weise sowie die weiteren Beschäftigungsmodalitäten vermittelte Fremdbestimmung der Klägerinnen überlagere die Umstände, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen könnten.
Die Entscheidungen sind unanfechtbar.
Keine coronabedingten Sonntagsladenöffnungen in Lemgo und Bad Salzuflen
Der Einzelhandel darf in den Innenstädten von Lemgo und Bad Salzuflen nicht an vier Sonntagen im 2. Halbjahr 2020 öffnen, um den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie für die örtlichen Einzelhandelsstrukturen und zentralen Versorgungsbereiche entgegenzuwirken. Entsprechende Verordnungen vom 19. und 20. August 2020 hat der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts NRW am 28. August 2020 auf Anträge der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di außer Vollzug gesetzt. Die Entscheidungen betreffen in Bad Salzuflen die Sonntage am 30. August, 13. und 27. September sowie 11. Oktober, und in Lemgo am 30. August, 18. Oktober sowie 6. und 27. Dezember 2020. Beide Städte hatten sich eng an einem Erlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW vom 9. Juli 2020, aktualisiert am 14. Juli 2020, orientiert, in dem entsprechende Verordnungen wegen der landesweiten gravierenden Auswirkungen der Pandemie auf den stationären Einzelhandel nach örtlicher Prüfung für zulässig gehalten worden waren.
Der 4. Senat hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Verordnungen seien nach dem gebotenen strengen Maßstab für die Aussetzung von Rechtsnormen offensichtlich rechtswidrig und nichtig. Sie würden dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag, der ein Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes gewährleiste und für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis statuiere, zweifelsfrei nicht gerecht.
Nach ständiger und kürzlich vom Bundesverwaltungsgericht auch für die Anwendung des Ladenöffnungsgesetzes NRW bestätigter höchstrichterlicher Rechtsprechung dürfe der Gesetz- und Verordnungsgeber Ausnahmen von der regelmäßigen Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen nur zulassen, wenn sie durch einen zureichenden Sachgrund von ausreichendem Gewicht bezogen auf den zeitlichen, räumlichen und gegenständlichen Umfang der jeweiligen Sonntagsöffnung gerechtfertigt und für das Publikum am betreffenden Tag als Ausnahme von der sonntäglichen Arbeitsruhe zu erkennen seien.
Bezogen auf die hier unter anderem angeführten gesetzlich ausdrücklich geregelten Ziele (Erhalt eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebots und zentraler Versorgungsbereiche sowie Belebung der Innenstädte) sei bereits letztinstanzlich für das Landesrecht geklärt, dass sie in der Regel allenfalls dann das verfassungsrechtlich erforderliche Gewicht aufweisen könnten, wenn aus anderen Gründen ohnehin mit einem besonderen Besucherinteresse zu rechnen sei und über den davon erfassten Bereich hinaus zum Ausgleich besonderer örtlicher Problemlagen oder struktureller Standortnachteile der Freigabebereich auf hiervon betroffene Bereiche erweitert werden solle.
Die angegriffenen Regelungen trügen dem verfassungsrechtlich geforderten Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen nicht ausreichend Rechnung. Sie stellten bereits nicht sicher, dass die für die Verkaufsstellenfreigabe angeführten Sachgründe für das Publikum während der freigegebenen Zeiten als gerechtfertigte Ausnahmen von der sonntäglichen Arbeitsruhe zu erkennen seien. Stattdessen prägten die beschlossenen sortimentsübergreifenden Sonntagsöffnungen den Charakter des jeweiligen Tages in den ganzen Innenstadtgebieten der Antragsgegnerinnen in besonderer Weise. Sie dienten erklärtermaßen der Zielsetzung, an den festgesetzten Sonntagen Kaufkundschaft in die Innenstadt zu locken und hierdurch Ladeninhabern dort die Möglichkeit zu bieten, nach Verlusten und ausgefallenen verkaufsoffenen Sonntagen während der Corona-Krise Umsatz nachzuholen. Von ihnen gehe eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeit und Betriebsamkeit aus, die typischerweise den Werktagen zugeordnet werde.
Im Wesentlichen seien Sachgründe angeführt worden, die das Ministerium im ganzen Land gleichermaßen als gegeben ansehe, die bis Ende des Jahres praktisch überall für jeden Sonntag angeführt werden könnten und die schon deswegen das verfassungsrechtlich erforderliche Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen nicht wahren und zur Begründung einer auch am Gleichheitssatz zu messenden örtlichen Ausnahmeregelung ungeeignet seien. Damit werde die Darlegungs- und Beweislast für die Zulässigkeit von Sonntagsöffnungen abweichend vom verfassungsrechtlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt. Die bloße Beschränkung der Zahl der freigegebenen Sonntage stelle nach höchstrichterlicher Rechtsprechung noch keinen hiervon zu unterscheidenden Sachgrund dar.
Die Annahme, die Einnahmemöglichkeiten durch Ladenöffnungen von Montag bis Samstag reichten zur Bekämpfung der Gefährdungslage nicht aus, greife ebenfalls nicht durch. Zwar hätten einige Branchen, die in den jeweiligen Innenstädten besonders vertreten seien, über viele Wochen im Frühjahr 2020 wegen der Krise schließen müssen und keine Umsätze generieren können. Die an Werktagen bereits seit einigen Monaten wieder unbegrenzt verfügbaren Öffnungszeiten ließen aber für die Befriedigung des Erwerbsinteresses der Einzelhandelsbetriebe – auch soweit hieran gesellschafts- oder standortpolitische Interessen geknüpft seien – umfassend Raum. Nach vorliegenden Einzelhandelsstatistiken für Bund und Land habe der Einzelhandelsumsatz im ersten Halbjahr 2020 insgesamt sogar leicht zugenommen, wobei einzelne Wirtschaftszweige von der Krise besonders profitiert hätten (z. B. Lebensmittel, Bau- und Heimwerkerbedarf, Sportartikel, Fahrräder sowie Geräte der IT-Technik) und andere erhebliche Einbußen zu verzeichnen hätten (z. B. Bekleidung, Schuhe, Bücher und Kraftstoffe). Neben dem Versandhandelsumsatz, der besonders stark gewachsen sei, habe in NRW aber auch der Umsatz im Einzelhandel in Verkaufsräumen, der hier besonders gefördert werden solle, trotz fortbestehender Hygieneauflagen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum insgesamt, wenn auch nur leicht, real zugenommen.
Während den geltend gemachten Gefährdungen von Einzelhandelsstrukturen zielgerichteter auf andere Weise grundsätzlich an Werktagen begegnet werden könne, habe der Schutz des grundsätzlich arbeitsfreien Sonntags gerade angesichts der in der noch nicht überwundenen Corona-Krise zunehmend erfolgten Verwischung von Alltagsrhythmen weiterhin besonderes Gewicht.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Gesetzliche Neuregelungen im September 2020
Corona-Tests bei Reiserückkehr und Start des Kinderbonus
Wer von einer Reise aus dem Ausland zurückkehrt, kann sich freiwillig kostenfrei testen lassen. Bei der Rückkehr aus einem Risikogebiet besteht eine Testpflicht. Im September startet die Auszahlung des Kinderbonus. Und die Psychotherapeutenausbildung ist neu geregelt.
Corona
Freiwillige Corona-Tests bei Einreisen nach Deutschland
Seit dem 1. August haben alle Reisenden, die aus dem Ausland zurückkehren, die Möglichkeit, sich innerhalb von 72 Stunden nach Rückkehr freiwillig kostenfrei auf das Coronavirus SARS-CoV-2 testen zu lassen – unabhängig davon, aus welchem Land sie einreisen oder ob sie Krankheitssymptome aufweisen.
Testpflicht bei Rückkehr aus Risikogebieten
Einreisende aus Risikogebieten sind seit dem 8. August zum Test verpflichtet. Wer aus einem Risikogebiet nach Deutschland einreist, muss einen negativen Corona-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist, oder sich nach Ankunft – innerhalb von 72 Stunden – auf eine Corona-Infektion testen lassen. Die Tests sind für die Reisenden kostenlos. Bis zum Vorliegen eines negativen Testergebnisses besteht die Pflicht zur Quarantäne.
Weitere Informationen zur Testpflicht für Reiserückkehrer
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Auszahlung des Kinderbonus startet
Im Konjunkturpaket hatte die Bundesregierung beschlossen, für jedes kindergeldberechtigte Kind einen Kinderbonus in Höhe von 300 Euro zu zahlen. Er wird in der Regel automatisch von der zuständigen Familienkasse ausgezahlt. Die Auszahlung erfolgt im September 2020 in Höhe von 200 Euro und im Oktober 2020 in Höhe von 100 Euro.
Der Bonus wird nicht auf Sozialleistungen angerechnet. Beim Kinderfreibetrag, von dem Familien mit höherem Einkommen profitieren, wird er hingegen berücksichtigt. Der Kinderbonus kommt somit gezielt vor allem Familien mit kleinen und mittleren Einkommen zu Gute.
Gesundheit/Ausbildung
Psychotherapeutenausbildung neu geregelt
Ab 1. September wird die Ausbildung der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Die Approbation wird künftig nach einem fünfjährigen Universitätsstudium erteilt. An das Studium schließt sich eine – nach jeweiligem Landesrecht organisierte – Weiterbildung in stationären oder ambulanten Einrichtungen an. Im ambulanten und stationären Bereich werden die Behandlungsleistungen, die Psychotherapeuten in Weiterbildung (PiW) erbringen, von den Krankenkassen vergütet.
„Vertrauensschaden“: Verlust durch Franken-Spekulationsgeschäfte nicht versichert
Verluste, die durch Spekulationsgeschäfte mit Schweizer Franken entstanden sind, sind nicht zwingend durch eine „Vertrauensschadenversicherung“ abgedeckt. Deshalb hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter dem Vorsitz von Michael Kneist am 28. August 2020 die Berufung eines Unternehmens aus Essen zurückgewiesen.
Das Unternehmen hatte geltend gemacht, ein langjähriger Mitarbeiter habe im Rahmen nicht autorisierter Devisen- und Devisentermingeschäfte mit Schweizer Franken gehandelt. Als die Schweizer Nationalbank am 15. Januar 2015 den bis dahin geltenden Mindestkurs aufhob, führte dies zum sog. Frankenschock und ließ den Kurs des Franken zum Euro rapide ansteigen. Das Unternehmen hat in der Folge einen Schaden von fast 34 Millionen Euro geltend gemacht. Davon wollte es einen Teilbetrag in Höhe von 20 Millionen Euro von einem Versicherer ersetzt haben.
Der für das Versicherungsrecht zuständige Senat sieht dafür keine Grundlage: Unmittelbar schadensursächlich waren nicht die Spekulationsgeschäfte, sondern war die völlig unerwartete Entscheidung der Schweizer Nationalbank. Ferner haben sich keine Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges oder sogar strafbares Verhalten des Mitarbeiters ergeben. Jedenfalls aber wäre die Haftung des Versicherers nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ausgeschlossen. Denn bei Devisen- und Devisentermingeschäften handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um „Finanzinstrumente“, für die kein Versicherungsschutz besteht.
Hintergrund:
Mit der Industrie-Vertrauensschadenversicherung versichern Unternehmen das Vertrauen, das sie in einen bestimmten Kreis ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen. Versichert ist regelmäßig der Schaden, der dem Unternehmen oder auch Dritten unmittelbar dadurch entsteht, dass eine versicherte Person eine vorsätzliche unerlaubte Handlung (in der Regel Betrug oder Untreue) begeht. Eine solche Versicherung schließen vorwiegend Kreditinstitute und große – mindestens größere – Unternehmen ab.
Streitigkeiten aus dieser Versicherungssparte werden bislang sehr selten vor ordentlichen Gerichten ausgetragen.
Kopftuchverbot – Benachteiligung wegen der Religion
Die Klägerin ist Diplom-Informatikerin; sie bezeichnet sich als gläubige Muslima und trägt als Ausdruck ihrer Glaubensüberzeugung ein Kopftuch. Die Klägerin bewarb sich beim beklagten Land im Rahmen eines Quereinstiegs mit berufsbegleitendem Referendariat für eine Beschäftigung als Lehrerin in den Fächern Informatik und Mathematik in der Integrierten Sekundarschule (ISS), dem Gymnasium oder der Beruflichen Schule. Das beklagte Land lud sie zu einem Bewerbungsgespräch ein. Im Anschluss an dieses Gespräch, bei dem die Klägerin ein Kopftuch trug, sprach sie ein Mitarbeiter der Zentralen Bewerbungsstelle auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutralitätsgesetz* an. Die Klägerin erklärte daraufhin, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen.
Nachdem ihre Bewerbung erfolglos geblieben war, nahm die Klägerin das beklagte Land auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG in Anspruch. Sie hat die Auffassung vertreten, das beklagte Land habe sie entgegen den Vorgaben des AGG wegen ihrer Religion benachteiligt. Zur Rechtfertigung dieser Benachteiligung könne das beklagte Land sich nicht mit Erfolg auf § 2 Berliner Neutralitätsgesetz berufen. Das darin geregelte pauschale Verbot, innerhalb des Dienstes ein muslimisches Kopftuch zu tragen, verstoße gegen die durch Art. 4 GG geschützte Glaubensfreiheit. Das beklagte Land hat demgegenüber eingewandt, das Berliner Neutralitätsgesetz sei verfassungsgemäß und auch unionsrechtskonform. Die darin geregelte Verpflichtung der Lehrkräfte, im Dienst u. a. keine auffallenden religiös geprägten Kleidungsstücke zu tragen, stelle eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung i. S. v. § 8 Abs. 1 AGG bzw. der unionsrechtlichen Vorgaben dar. Angesichts der Vielzahl von Nationalitäten und Religionen, die in der Stadt vertreten seien, sei eine strikte Neutralität im Unterricht aus präventiven Gründen erforderlich; des Nachweises einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität bedürfe es nicht. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das beklagte Land zur Zahlung einer Entschädigung i. H. v. 5.159,88 Euro verurteilt. Gegen diese Entscheidung hat das beklagte Land Revision eingelegt, mit der es sein Begehren nach Klageabweisung weiterverfolgt. Die Klägerin hat Anschlussrevision eingelegt, mit welcher sie die Zahlung einer höheren Entschädigung begehrt.
Sowohl die Revision des beklagten Landes als auch die Anschlussrevision der Klägerin hatten vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Klägerin kann von dem beklagten Land nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG die Zahlung einer Entschädigung i. H. v. 5.159,88 Euro verlangen. Die Klägerin hat als erfolglose Bewerberin eine unmittelbare Benachteiligung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG erfahren. Der Umstand, dass ein Mitarbeiter der Zentralen Bewerbungsstelle die Klägerin im Anschluss an das Bewerbungsgespräch auf die Rechtslage nach dem sog. Berliner Neutralitätsgesetz angesprochen und die Klägerin daraufhin erklärt hat, sie werde das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen, begründet die Vermutung, dass die Klägerin wegen der Religion benachteiligt wurde. Diese Vermutung hat das beklagte Land nicht widerlegt. Die Benachteiligung der Klägerin ist nicht nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt. Das beklagte Land kann sich insoweit nicht mit Erfolg auf die in § 2 Berliner Neutralitätsgesetz getroffene Regelung berufen, wonach es Lehrkräften u. a. untersagt ist, innerhalb des Dienstes auffallende religiös oder weltanschaulich geprägte Kleidungsstücke und damit auch ein sog. islamisches Kopftuch zu tragen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an die der Senat nach § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden ist, führt eine Regelung, die – wie § 2 Berliner Neutralitätsgesetz – das Tragen eines sog. islamischen Kopftuchs durch eine Lehrkraft im Dienst ohne Weiteres, d. h. schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule verbietet, zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG, sofern das Tragen des Kopftuchs – wie hier im Fall der Klägerin – nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. § 2 Berliner Neutralitätsgesetz ist in diesen Fällen daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass das Verbot des Tragens eines sog. islamischen Kopftuchs nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gilt. Eine solche konkrete Gefahr für diese Schutzgüter hat das beklagte Land indes nicht dargetan. Aus den Vorgaben von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, die der nationale Gesetzgeber mit § 8 Abs. 1 AGG in das nationale Recht umgesetzt hat, und aus den in Art. 10 und Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union getroffenen Regelungen ergibt sich für das vorliegende Verfahren nichts Abweichendes. Den Bestimmungen in §§ 2 bis 4 Berliner Neutralitätsgesetz fehlt es bereits an der unionsrechtlich erforderlichen Kohärenz. Mit den Ausnahmeregelungen in den §§ 3 und 4 Berliner Neutralitätsgesetz stellt der Berliner Gesetzgeber sein dem § 2 Berliner Neutralitätsgesetz zugrundeliegendes Regelungskonzept selbst in Frage. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Höhe der der Klägerin zustehenden Entschädigung hielt im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Kontrolle stand.
Hinweis zur Rechtslage
*§ 2 Neutralitätsgesetz
Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.
Kein Anspruch der Kläger gegen die BRD wegen „VW-Diesel-Abgasskandals“
- Kein Anspruch der Kläger auf Schadenersatz gegen die BRD im Zusammenhang mit dem Erwerb eines vom sog. VW-Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs
- Feststellungsklagen unzulässig und unbegründet
Die 7. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart hat am 27.08.2020 unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Landgericht Schabel drei Urteile in den mittlerweile mehr als 20 anhängigen gleichgelagerten Schadenersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen behaupteter Amtspflichtverletzung verkündet. Die Kläger sind bzw. waren jeweils Inhaber eines mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs des VW-Konzerns und begehren jeweils die Feststellung, dass ihnen die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem sog. VW-Diesel-Abgasskandal zum Schadenersatz verpflichtet ist. Die Kammer hat die Feststellungsklagen jeweils abgewiesen.
Erwägungen der Kammer
Die Kammer hält die Feststellungsklagen bereits für unzulässig und jedenfalls für unbegründet. Den Klägern fehle es bereits aus mehreren Gründen am erforderlichen Feststellungsinteresse. So hat sich ein Kläger bereits mit der VW AG auf einen Vergleich verständigt und hat infolgedessen das Fahrzeug nicht mehr im Besitz. Zudem sei der von den Klägern jeweils geltend gemachte europarechtliche Staatshaftungsanspruch nicht gegeben. So fehle es bereits an einer europarechtlichen Norm, die dem Schutz individueller Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer diene und bezwecke, diesen insoweit Rechte zu verleihen. Das Ziel der von den Klägern bemühten Richtlinie 2007/46/EG sei in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes; darüber hinaus solle sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finde darin nach Ansicht der Kammer keine Erwähnung. Zudem sei für die Kammer nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik Deutschland Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG unzureichend in nationales Recht umgesetzt habe. Nach dieser Vorschrift haben die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die Richtlinie, insbesondere beim Anbieten, Verkaufen und Inbetriebnehmen von nicht genehmigten Teilen und Ausrüstungen nach Art. 31 der Richtlinie, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festzulegen. Auch einen die Haftung begründenden erforderlichen hinreichend qualifizierten Verstoß des Kraftfahrtbundesamts bei der Erteilung der Typengenehmigung für die streitgegenständlichen Fahrzeuge – in Gestalt der von den Klägern behaupteten fehlerhaften Überwachung der Automobilindustrie – könne die Kammer nicht feststellen. Etwaigen Ansprüchen der Kläger nach der deutschen Amtshaftungsnorm § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG stünde entgegen, dass nach dem vorgetragenen Sachverhalt eine Haftung der Herstellerin VW AG gemäß § 826 BGB in Betracht komme und ein etwaiger Amtshaftungsanspruch daher kraft Gesetzes zurücktrete.
Urteile nicht rechtskräftig – Berufung zum OLG möglich
Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Den Kläger steht das Rechtsmittel der Berufung zum Oberlandesgericht offen.
Wegen des Klimawandels in der Pfalz kein Schadensersatz für abgestorbene Thuja-Hecke
Eine Nachbarin muss die Kosten für eine abgestorbene Thuja-Hecke an der Grundstücksgrenze nicht ersetzen, obwohl sie im Verdacht steht, diese über Jahre hinweg beschädigt zu haben. Dies hat das Landgericht Frankenthal in einem Nachbarschaftsstreit aus Altrip entschieden. Die Hecke sei nämlich durch den fortschreitenden Klimawandel zugrunde gegangen, stellte die Kammer fest.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme spreche zwar sehr viel dafür, dass die Nachbarin die Hecke mehrfach absichtlich beschädigt habe, z. B. durch Abknicken von Ästen und Zweigen sowie durch das Angießen von Flüssigkeiten. Nach dem Urteil war die Ursache für das Absterben aber nicht im Verhalten der Nachbarin zu sehen. Denn der beauftragte Baumsachverständige habe zur Überzeugung des Gerichts festgestellt, dass die Thuja-Hecke nicht vergiftet wurde, sondern aufgrund der klimatischen Veränderungen in der Pfalz mit heißen Sommern und starken Winden vertrocknet sei. Hierbei betonte der Sachverständige, dass die Thuja aufgrund ihres hohen Wasserbedarfs für die Region der Vorderpfalz immer weniger geeignet sei und nur bei einer intensiven und langanhaltenden Bewässerung gedeihen könne. Die für die Anpflanzung einer neuen Hecke erforderlichen Kosten von mehr als 8.000 Euro muss somit nicht die Nachbarin übernehmen.
Das Landgericht hat sich in seinem Urteil auch dazu geäußert, wann im Nachbarstreit ein Schlichtungsverfahren durchlaufen werden muss, bevor eine Klageerhebung zum Gericht möglich ist. Die vom Land Rheinland-Pfalz anerkannten Gütestellen und Schiedspersonen müssten nur bei bestimmten nachbarrechtlichen Abwehransprüchen (Beseitigung von Überhang, etc.) vorrangig angerufen werden, nicht jedoch wenn – wie hier – Schadensersatz gefordert werde. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe, so die Kammer.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.