BRAK, Mitteilung vom 13.06.2023 zum Beschluss 2 BvR 370/22 des BVerfG vom 10.05.2023
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde entschieden, dass ein Gericht einen Fristverlängerungsantrag nicht deswegen ablehnen durfte, weil er nach Dienstschluss am letzten Tag der Frist per beA bei Gericht einging. Dies sei ein Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) (Beschluss vom 10.05.2023, Az. 2 BvR 370/22).
Der Prozessvertreter einer Klägerin hatte den Antrag auf Fristverlängerung für eine Replik per beA um 17:54 Uhr am Tag des Fristablaufs an das Amtsgericht gesendet. Es handelte sich um den ersten Antrag auf Fristverlängerung in der Sache und zur Begründung machte er erhebliche Arbeitsüberlastung und urlaubsbedingter Ortsabwesenheit geltend. Dabei vertraute er darauf, dass dem Antrag stattgegeben würde. Das Gericht jedoch wies die Klage ab, ohne dem Antrag auf Fristverlängerung stattgegeben und dementsprechend auf die Replik gewartet zu haben. Auch eine dagegen erhobenen Anhörungsrüge wies es als unbegründet zurück. Bei Abfassung des Urteils habe der Antrag noch nicht einmal der Geschäftsstelle vorgelegen. Der Anwalt hätte das Fristverlängerungsgesuch früher stellen müssen. Er habe nicht erwarten können, dass nach Ablauf der üblichen Dienstzeiten noch über sein Gesuch entschieden werde und er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass dem Antrag stattgegeben werden würde.
BVerfG: Rechtliches Gehör schwerwiegend verletzt
Gegen das klageabweisende Urteil und den Beschluss über die Anhörungsrüge erhob die Klägerin in dem Verfahren Verfassungsbeschwerde unter Berufung auf eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. Das BVerfG gab ihr nun im Hinblick auf das Urteil Recht und verwies die Sache zurück an das Amtsgericht.
Ein Antrag auf Fristverlängerung müsse lediglich innerhalb der noch laufenden Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt sein. Nicht erforderlich sei dagegen, dass es über ihn noch während des Fristlaufs entscheide, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet werde oder dass es der Geschäftsstelle übergeben werde. Verzögerungen bei der Weiterleitung des Antrags innerhalb des Gerichts könnten nicht zu Lasten der Partei gehen.
Das Amtsgericht habe auch nicht verlangen können, dass der Prozessbevollmächtigte seinen Fristverlängerungsantrag zu einem früheren Zeitpunkt hätte stellen müssen. Fristen dürften vollständig ausgeschöpft werden.
Schließlich sei es irrelevant, ob den Anwalt ein Verschulden treffe, ob er damit rechnen durfte, dass seinem Antrag stattgegeben werden würde und wann er mit einer Entscheidung rechnen durfte – schließlich gehe es hier nicht um die Wiedereinsetzung. Maßgeblich seien allein die Einhaltung der Frist sowie der Vortrag erheblicher Gründe nach § 224 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Von beidem sei hier auszugehen. Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen das Amtsgericht den erstmaligen Fristverlängerungsantrag wegen Arbeitsüberlastung und Ortsabwesenheit hätte ablehnen können.
Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer
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