EuGH, Pressemitteilung vom 18.01.2024 zum Schlussantrag C-450/22 vom 18.01.2024
Generalanwältin Medina: Die Transparenz von Mindestzinssatzklauseln in Hypothekendarlehensverträgen kann im Zusammenhang mit einer Verbandsklage überprüft werden.
Dies ist auch dann der Fall, wenn sich die Klage gegen über 100 spanische Finanzinstitute richtet.
Mindestzinssatzklauseln („clausulas suelo“) waren Standardklauseln in Hypothekendarlehensverträgen mit variablem Zinssatz, die von zahlreichen Finanzinstituten in Spanien mit Verbrauchern geschlossen wurden. Mit ihnen wurde ein Mindestsatz festgelegt, unter den der variable Zinssatz nicht absinken durfte, auch wenn der Referenzsatz (in der Regel der Euribor) diesen Mindestsatz unterschritt. Als die Referenzzinssätze deutlich unter diesen Schwellenwert fielen, stellten die Verbraucher fest, dass sie von dieser Senkung nicht profitieren konnten und trotz einer Hypothek mit variablem Zinssatz weiterhin den Mindestzinssatz (in der Regel zwischen zwei und fünf Prozent) zahlen mussten. Einzelne Verbraucher und Verbraucherverbände erhoben in Spanien Tausende von Klagen, mit denen sie die Rechtswidrigkeit der Mindestzinssatzklauseln im Hinblick auf die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln1 und die Rückerstattung der zu viel gezahlten Zinsen geltend machten2.
Der Spanische Verband der Nutzer von Banken, Sparkassen und Versicherungen (ADICAE) hat eine Verbandsklage gegen 101 in Spanien tätige Finanzinstitute erhoben. Diesen soll die Verwendung von Mindestzinssatzklauseln untersagt werden (Unterlassungsklage) und aufgegeben werden, die gemäß diesen Klauseln gezahlten Beträge zurückzuzahlen (Rückerstattungsklage). Nach Aufrufen in den nationalen Medien haben sich 820 Verbraucher der Verbandsklage angeschlossen.
Nachdem die Banken in zwei Rechtszügen unterlagen, haben sie ein Rechtsmittel beim spanischen Obersten Gerichtshof eingelegt. Dieser hegt insbesondere in Anbetracht der großen Zahl beteiligter Verbraucher und Finanzinstitute Zweifel, dass sich ein Verfahren über eine Verbandsklage dafür eignet, die Mindestzinssatzklauseln auf ihre Transparenz hin zu überprüfen, um festzustellen, ob sie missbräuchlich sind.
Generalanwältin Laila Medina weist darauf hin, dass die Richtlinie nichts enthalte, was eine Transparenzkontrolle im Rahmen einer Verbandsklage ausschlösse. Eine gerichtliche Überprüfung der Transparenz bei Verbandsklagen sei ferner geeignet und möglich. Sie müsse lediglich an die Besonderheiten einer Verbandsklage, wie z. B. ihr Abstraktionsniveau, angepasst werden und sich auf die übliche vertragliche und vorvertragliche Praxis des Gewerbetreibenden gegenüber dem Durchschnittsverbraucher richten. Es unterliefe den Zweck von Verbandsklagen und wäre nicht vereinbar und kohärent mit den Unionsregelungen zur Verbesserung des Rechtsschutzes der kollektiven Verbraucherinteressen, wenn die Transparenzkontrolle bei einer Verbandsklage ausgeschlossen würde.
Diese gerichtliche Kontrolle sei auch möglich, wenn sich die Klage gegen eine Vielzahl von Finanzinstituten richte und eine große Zahl von Verträgen betreffe, sofern die Gewerbetreibenden demselben Wirtschaftssektor angehörten, die Vertragsklauseln ähnlich seien und das Recht der einzelnen Finanzinstitute auf wirksamen Rechtsschutz gewährleistet sei. Generalanwältin Medina unterstreicht, dass es Sache des spanischen Obersten Gerichtshofs sei, zu prüfen, ob ein ausreichender Grad an Ähnlichkeit bestehe, um die Verbandsklage für zulässig zu erklären. Dabei könne er berücksichtigen, dass die Gewerbetreibenden allesamt Bankinstitute seien und dass es sich bei den beanstandeten Klauseln durchweg um standardisierte Mindestzinssatzklauseln in Hypothekenverträgen handele, deren Wirkung darin bestehe, eine Absenkung des Zinssatzes unter eine bestimmte Schwelle auszuschließen. All dies könne ein starker Anhaltspunkt für eine hinreichende Ähnlichkeit sein.
Nach Auffassung der Generalanwältin ist es möglich, die Transparenzkontrolle in dem beim spanischen Obersten Gerichtshof anhängigen Verfahren anhand des Maßstabs des Durchschnittsverbrauchers durchzuführen, da es bei diesem objektiven Maßstab nicht auf die Merkmale oder die Zahl der beteiligten Verbraucher ankomme.
Fußnoten
1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.
2 In einem Urteil vom 9. Mai 2013 entschied der spanische Oberste Gerichtshof in einem Verfahren über die Verbandsklage eines Verbraucherverbands gegen mehrere Banken, dass die geprüften Mindestzinssatzklauseln nicht transparent seien, weil die Verbraucher nicht ordnungsgemäß über ihre rechtlichen und finanziellen Folgen informiert worden seien. Die Klauseln wurden für nichtig erklärt. In Anbetracht der mit einer rückwirkenden Restitution von Überzahlungen verbundenen schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für den Bankensektor beschränkte der Oberste Gerichtshof die zeitliche Wirkung der Nichtigerklärung jedoch auf Überzahlungen, die nach der Verkündung seines Urteils geleistet wurden. Diese Beschränkung verstieß nach Auffassung des Gerichtshofs allerdings gegen die Richtlinie (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., verbundene Rechtssachen C-154/15, C-307/15 und C-308/15; vgl. auch Pressemitteilung Nr. 144/16).
Quelle: EuGH
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