DIHK, Mitteilung vom 11.08.2023
Der aktuelle Haushaltsplan der Bundesregierung für das Jahr 2024 sieht enorme Kürzungen im Bereich Verwaltungsdigitalisierung vor: Geplant sind nur noch circa 3 Millionen Euro – 2023 waren es noch 377 Millionen Euro. Auch wenn zusätzlich nicht verausgabte Mittel aus dem Vorjahr verwendet werden, ist dies ein gefährliches politisches Signal. Jede Verzögerung bei der Digitalisierung des Staates kostet an anderer Stelle: Zeit und Geld bei Unternehmen, bei Bürgern und in der Verwaltung selbst, von Vertrauensverlusten in die Leistungsfähigkeit des Staates ganz abgesehen. Allerdings kommt es auch darauf an, dass man das Geld effektiv in die Modernisierung der Verwaltung steckt – und hier gibt es starken Verbesserungsbedarf.
Verwaltungsdigitalisierung statt Onlinezugang
Nachdem das Ziel des Onlinezugangsgesetzes (OZG), bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen digitalisiert anzubieten, bei Weitem verfehlt wurde, nehmen Bund und Länder derzeit einen neuen Anlauf. Mit dem OZG-Änderungsgesetz (OZG-ÄndG), das nach der Sommerpause im Bundestag beraten wird, möchte das Bundesinnenministerium den Weg zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen ebnen. Zusätzlich ist eine Änderung des IT-Staatsvertrags zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Verwaltungsdigitalisierung in Arbeit, die Anfang 2025 in Kraft treten soll.
Doch dieses pfadabhängige Vorgehen – nur ein bisschen mehr, ein bisschen anders als bisher – wird nicht dazu beitragen, die deutsche Verwaltung wirklich zukunftsfähig aufzustellen. Das wäre jedoch dringend notwendig. Bereits der Titel des Gesetzentwurfes greift zu kurz: Statt einer Weiterführung des OZG, die den rechtlichen Rahmen für die Entwicklungen der vergangenen Jahre nachzieht, wäre ein echtes Verwaltungsdigitalisierungsgesetz erforderlich, das eine Basis für die Zukunft legt.
Gemeinsames Zielbild: ein plattformbasiertes Ökosystem
Voraussetzung dafür ist ein gemeinsames Zielbild von Bund, Länder und Kommunen und ein daraus abgeleiteter Reformplan, der den Rechtsrahmen und die operative Umsetzung des Verwaltungshandelns digitaltauglich gestaltet. Ein solches Zielbild sollte nicht – wie im OZG – auf einen reinen Online-Zugang zu Leistungen ausgerichtet sein, sondern auf die durchgängige, sichere und nutzerfreundliche Digitalisierung von Verwaltungsprozessen.
Für die Umsetzung ist unter anderem eine Plattform-Infrastruktur mit zentralen, einheitlichen Standards und Basis-Komponenten erforderlich – beispielsweise Nutzerkonten, Zahlungskomponenten, IT-Transportstandards und Programmierschnittstellen (APIs) für den sicheren Datenaustausch. Diese Infrastruktur sollte übergreifend für alle öffentlichen Stellen bereitgestellt, zentral gesteuert werden und an die Stelle nur lose miteinander gekoppelter Projekte treten.
Rechtliche Änderungen für Plattformansatz erforderlich
Diesen Ansatz einer zentral gesteuerten, föderal gemeinsam genutzten digitalen Infrastruktur mit hohen Anforderungen an Sicherheit und Datenschutz greift das OZG-ÄndG nicht auf. Stattdessen wird das Konzept des sogenannten Portalverbundes aus dem OZG rechtlich fortgeführt. Dieser Verbund umfasst 17 Portale von Bund und Ländern. Er wurde unter Federführung des Bundesinnenministeriums eingeführt, um dem Bund die zentrale Steuerung der OZG-Umsetzung zu ermöglichen. Er adressiert aber das falsche Ende der digitalen Bereitstellung von Verwaltungsdienstleistungen: Das Bundesinnenministerium kann aufgrund der grundgesetzlich verankerten Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern zwar die Darstellung der unterschiedlichen Services festlegen, aber nicht die dahinter liegenden Systeme und Formate – dabei bräuchte es dringend einen echten Plattform-Unterbau für die gesamte öffentliche Hand. Dies zeigen auch die Erfahrungen aus der bisherigen OZG-Umsetzung und aus jedem erfolgreichen Plattform-Ökosystem der Privatwirtschaft – etwa AirBnB, Uber oder dem Apple App Store.
Auf einer solchen Plattform müsste die öffentliche Verwaltung dann auch nicht alle Angebote selbst beauftragen oder entwickeln: Viele kommerzielle oder Open-Source-Lösungen der IT-Wirtschaft ermöglichen zeitlichen Vorsprung, schnelle Umsetzbarkeit sowie Integrationsfähigkeit und machen Ressourcen schneller verfügbar. Auf solche privat entwickelten Anwendungen muss auch die öffentliche Hand zurückgreifen können.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums und Analysen von Verfassungsrechtlern müsste das Grundgesetz angepasst werden, um diese Art der föderalen Aufgabenverteilung – zentrale Erstellung und Weiterentwicklung von Infrastruktur und Standards, darauf aufbauend dezentrale Entwicklung und Betrieb einzelner Anwendungen – zu erlauben. Es ist dringend an der Zeit, Anpassungserfordernisse explizit zu benennen und die Diskussion über verfassungsrechtliche Änderungsbedarfe zeitnah zu beginnen.
Zentrale Basisinfrastruktur braucht einen Eigner
Die erforderliche Plattform-Infrastruktur benötigt einen zentralen Verantwortlichen. Es bedarf also einer Institution, die als „Produktmanager“ die zugrunde liegenden technischen Komponenten und Standards definiert und steuert. Diese sollten in Zusammenarbeit mit den betroffenen Verwaltungsmitarbeitenden gepflegt und weiterentwickelt werden. Wichtig ist, dass die Nutzung der Infrastruktur an verbindliche Sicherheitsanforderungen geknüpft ist. Die Organisation FITKO, die zentrale Koordinierungs- und Vernetzungsstelle für Digitalisierungsvorhaben der öffentlichen Verwaltung in Deutschland, käme für eine solche Aufgabe infrage. Hierzu muss sie einen Auftrag und das entsprechende (mehrjährige, flexibel zu verwendende) Budget erhalten. Immerhin würden der FITKO nach den aktuellen Haushaltsplänen im Jahr 2024 zusätzliche 36,9 Millionen Euro zur Verfügung stehen (2023 waren es 9,6 Millionen Euro). Bei unveränderten Rahmenbedingungen sind aber auch diese Mittel nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Bund und Länder sind in der Pflicht, diese systemischen Entscheidungen zu treffen. An sich schon vorgestern, aber besser heute als überübermorgen.
Quelle: DIHK
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